Dienstag, 11. August 2009

atemlos

Nach einem langen Arbeitstag und einer noch längeren Party bei Freunden machte sie sich auf den Heimweg. Ihre Mitfahrgelegenheit hatte sich lange vorher mit einer rassigen Rothaarigen und einem sehnsuchtsvollen Gesichtsausdruck aus dem Staub gemacht. Wahrscheinlich hatten sie irgendwo ein Zimmer genommen und ließen nun ihrer Leidenschaft freien Lauf.

Sie machte sich also zu Fuß auf die Suche nach einem Taxi und freute sich schon auf ihr Bett zuhause. Der Wind pfiff ihr mit seltsamer Strenge um die Ohren und sie war heilfroh, dass sie nicht mehr nüchtern war, denn der Alkohol wärmte sie.

Sie hatte die Gegend, in der die Beiden wohnten noch nie gemocht, denn man hastete von einer dunklen und gruseligen Nische zur nächsten Laterne und wünschte sich sehnlichst, dass die Sonne aufging. Die Gegend war dafür bekannt, dass hier immer wieder Gewalttaten verübt wurden, aber die Beiden ließen sich nicht überreden, wegzuziehen, denn die Mieten waren unglaublich günstig.

Sie bewegte sich nun also schnellen Schrittes durch diese kalte Novembernacht und verfluchte die Gegend, da es weit und breit kein Taxi zu geben schien. Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit von etwas erregt, das nicht sein durfte. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Sie hatte ein Knacken hinter sich gehört. Als wäre ein Zweig unter dem Gewicht eines schweren Mannes gebrochen. Oder hatte sie sich das eingebildet? Sie legte einen Zahn zu und spürte die Gänsehaut, die sie augenblicklich befallen hatte. Sie fror.

Da! Da war es schon wieder! Diesmal gefolgt von einem Zischlaut und einem hervorgepressten Fluchen. Ihr wurde klar, dass ihr ein Mann folgte. Dem Fluch nach wollte er nicht entdeckt werden und führte nichts Gutes im Schilde.
Im Zeitraffer fielen ihr tausende Verhaltensregeln für den Ernstfall ein, alle Abwehr- und Angriffstechniken, die ihr Meister Chan beigebracht hatte und sie wünschte sich eine Waffe.

Seine Schritte wurden schneller und sie hörte seinen Atem, denn er begann zu keuchen. Bald würde er sie eingeholt haben. Sie begann zu laufen. Kein Haus in Sicht. Kein Mensch auf der Straße. Sie kam sich vor wie in einem billigen Horrorfilm. Das Herz klopfte in ihrem Hals, sie spürte ihre Beine nicht mehr und sie schwor sich, sollte sie das hier überleben, wieder mit dem Training zu beginnen, anstatt sich im Fitnessclub nur mit jungen Männern zu amüsieren.

Sie erstarrte und hielt die Luft an, als sie plötzlich seinen widerwärtigen Atem in ihrem Nacken spürte und er ihr von hinten mit der einen Hand um den Hals und der anderen auf ihren Schoß fuhr. Er hatte sie - es gab kein Entrinnen mehr.

Sie wollte schreien, aber ihre Angst blieb ihr im Halse stecken und sie brachte nur ein leises Stöhnen hervor, das ihren Peiniger offensichtlich noch mehr erregte. Sie spürte, wie er seine Lenden an sie drückte und sie begann am ganzen Leib zu zittern. Tränen quollen unter verzweifeltem Schluchzen aus ihren Augen.

"Anna, was hast du denn? Habe ich dich etwa erschreckt? Verzeih! So beruhige dich doch! Ich bin es doch nur!" Er drehte sie zu sich und nach einem schier endlos scheinenden Augenblick erkannte sie den Jungen von der Party, mit dem sie in der Küche rumgemacht hatte. Er war ihr offensichtlich gefolgt, um dort weiterzumachen, wo sie vor einer Stunde aufgehört hatten.

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